Der Tapezierer

Artikel in der Zeitschrift "Männer" 9/10 von Carsten Bauhaus

Wof von Waldow bewegt sich zwischen Tradition und Moderne. Besonders kreativ ist der Künstler beim Gestalten von Tapeten. Ein Hausbesuch

 

Bei der Neueröffnung des Kultcafés Bierhimmel in Berlin-Kreuzberg dieses Frühjahr erlebten die Stammgäste eine Überraschung: Freundliche Pastellfarben dominieren jetzt den L-förmigen Raum, grenzen ihn so von der abgerockt-trashigen Oranienstraße draußen ab. Tapeten in Biedermeieranmutung schmücken jetzt die queere Bar in Deutschlands Anarchoherz. Dazu Tischplatten, die akurat ausgelegte Spitzendeckchen nachahmen. Eine ironische Brechung sicherlich – aber so zeigt die Einrichtung auch die reizvollen Widersprüche der Kreuzberger Institution: Der Bierhimmel ist trotz seines Namens schon immer eher ein Cafe als eine Bar gewesen, bekannt vor allem für seine berühmte Tränentorte – ein Kuchen aus Schokolade und Marzipan. Der genauere Blick auf die Wände reizt das Auge mit überraschenden Eindrücken: Motive wie eine rapende Jugendgang oder eine staubsaugende türkische Hausfrau – anheimelnde Schattenrisse auf einem Tapetenfries, das darüber hinaus auch noch traditionelle Holzintarsien nachahmt. Ein radikaler Clash von Inhalt und Form. Der Künstler, der für den neuen Blick des alten Raumes verantwortlich ist heißt Wolf von Waldow und ist selbst ein solcher Hybrid. Der Name ist kein Pseudonym: von Waldow ist der Spross aus einem alten westpreußischen Adelsgeschlecht. Und trägt einen Irokesenschnitt und Sneakers. Dazu ein breites freundliches Lächeln. Die vielen alten Möbel in seiner drei Zimmer-Wohnung im Prenzlauer Berg konterkariert sein Bettgestell: ein nackter Lattenrost auf Betonklötzen. Es läuft Vivaldi. Auf dem gedrechselten Kaffeetisch stehen Milchkännchen und Zuckerdose mit Rosenmuster bereit. Dazu berichtet Wolf von Waldow von langen inspirierenden Nächten im Technoclub Berghain. Schon oft sind ihm mitten in der Nacht beim Tanzen Bildideen gekommen. Stift und Zettel hat er deshalb immer dabei – auch wenn er aus den kryptischen Zeichnungen am nächsten Tag nicht immer schlau wird.

Zum Bierhimmel hat er eine besondere Beziehung, hat er doch hier seine Hochzeit gefeiert. Außerdem sind Torten sein Hobby.An der Wand hängt seine neueste Arbeit. Eine weitere Tapetenbahn, diesmal mit Flüchtlingsmotiven, genannt refugee camp. „Mich interessiert wie wir hier auf der ‚Insel Europa’ mit Meldungen aus dem Rest der Welt umgehen, wo es nicht ganz so schick ist wie bei uns,“ erklärt der Künstler. Für das Medium Tapete sicherlich ein ungewohntes Thema – gerade das reizte von Waldow: „Mit der Tapete verbindet man normalerweise Themen wie Wohnlichkeit, Heimat und Sesshaftigkeit.“ Wegen des offensichtlichen Wiederspruchs zwischen Inhalt und Form, zwischen Anmutung und Botschaft, arbeitet Wolf von Waldow seit einigen Jahren bevorzugt auf Tapeten, weil diese „mit einem Fuß im Alltag verwurzelt sind. Außerdem es eine künstlerische Form, die wirklich in den Raum eingreift.“

 Beim genaueren Hinsehen verrät die Vielschichtkeit des Digitaldrucks Wolfs Liebe zum Detail: Sicherheitsmuster wie man sie aus Ausweisen kennt, dienen als „dekorativer“ Hintergrund. Namen von Flüchtlingslagern bilden ein „Schmuck“-Band. Immer wieder versucht von Waldow das Ornamentale mit Bedeutung aufzuladen, Form und Inhalt spannungsreich zusammenzubringen: „Das Ornament war ursprünglich eine Symbolsprache, die sich erst später verselbstständigt hat.“

 Aufmerksamkeit erregte Wolf erstmals 1993, mit seinem laubgesägtem Genitalschmuck. Dekoratives, aber Untragbares aus Holz in unterschiedlichtsten Stilen vom Barock bis Bauernmalerei, auch ein Mondrian-Verschnitt war dabei. „Die Vielfältigkeit der Motive spiegelt das schwule Vermögen wieder, in verschiedene Stile und Rollen zu schlüpfen“, meint Wolf von Waldow. Seiner Meinung nach lernen das viele Schwule während des Coming Outs, mit dem sie plötzlich aus der „Heterorolle“ herausfallen und sich neu definieren müssen: „Als Schwuler merkt man früh, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, zu sein oder sich auszudrücken:“ Möglicherweise ist diese Rollendistanz – eine ironische Entfernung, die sich auch auf die Rolle als Künstler selbst bezieht – seit Andy Warhol zu einem Grundmerkmal „schwuler Kunst“ geworden. „Dem künstlerischen Gestus ‚schaut her, ich drücke mich aus!’ habe ich als schwuler Künstler immer ein wenig,“ sagt von Waldow.

Stattdessen denkt er in seiner Kunst Stile und Ausdrucksmöglichkeiten zusammen, die ansonsten getrennten Sphären angehören. Immer wieder finden sich zum Beispiel in seinen von bürgerlicher Akuratesse geprägten Tapetenbahnen Marken und Symbole wieder, die von Schwulen fetischisiert werden: Adidas, Fred Perry, aber auch das Biohazard-Zeichen, das für risikoreichen Sex steht. „Es sind Motive aus meinem schwulen Alltag in Berlin,“ meint von Waldow. „Sie bilden einen Subtext, den Heteros meist gar nicht dechiffrieren können.“ Sein Stilmix erinnert ein wenig an Opernbesucher in Lederchaps, oder den Army-Fetischisten, der zuhause Stolz seine Sammlung von Sammeltässchen präsentiert.

Im Laufe der Zeit hat sich von Waldow verschiedenste kunsthandwerkliche Techniken angeeignet: Metall- und Intarsien-Arbeiten, Stuckmarmorierung, Malerei, Drucktechniken. Seine vielfältigen Fertigkeiten prädestinieren ihn für Kunst am Bau-Projekte. Im Hotel Le Royal Meridien in Hamburg etwa gestaltete von Waldow das Schwimmbad, eine Bar und einige Zimmer. Seine Arbeiten strahlen eine handwerkliche Könnerschaft aus: „Ich bin schon sehr gewissenhaft und versuche so präzise wie möglich zu arbeiten,“ gibt von Waldow zu – und spricht dies in seiner typischen klaren Diktion. Sicherlich hat seine Liebe zum Kunsthandwerk, zum Dekorativen und Schmückenden auch mit seiner Herkunft zu tun.

„Meine Erziehung war gar nicht so preußisch streng. Aber durch das gesamte Umfeld habe ich schon mitbekommen, dass da etwas ist, was schon vor Oma und Opa da war – und was irgendwie mit mir zu tun hat.“ Als Kind konnte Wolf deshalb auch nie begreifen, warum seine Mutter die übliche 60er-Jahre Mode trug, „statt dieser schicken Rokoko-Roben, auf den Ahnenbildern zu Hause “. Für sein Tapeten-Motiv „mental map“, eine Auftragsarbeit für die Griffelkunst-Vereinigung, verwendete er alte Aufnahmen aus dem Familienalbum. „Die Arbeit beschäftigt sich mit dem Verhaftetsein in der eigenen Vergangenheit, durch Erinnerungen zum Beispiel, die man mit sich rumschleppt“. Ein Thema, das den 48-jährigen auch persönlich umtreibt: „Je älter man wird, desto deutlicher merkt man, wie sehr man doch durch seine Vergangenheit determiniert ist – also auch bis zu einem gewissen Punkt unfrei bleibt. Manchmal beneide ich Künstler, die aus dem Bauch heraus einfach Farbe auf die Leinwand werfen. Das könnte ich nicht.“ Seine Arbeiten sind streng durchkonzipiert und leben von der Perfektion der Ausführung. Aber auch auf Inhaltliches legt von Waldow großen Wert: „Da habe ich schon einen gewissen pädagogischen Impetus: zu zeigen, dass es eine Verbindung gibt zwischen Geschichte und Gegenwart. Und dass die Vergangenheit ein Spiegel ist, mit dem man die Gegenwart besser verstehen kann. “

© Carsten Bauhaus in: Männer, 9/10