Junges Barock

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Auszüge aus Katalogtext "15 Jahre Foyer für junge Kunst. Vereins und Westbank", Hamburg 2000


Anders als manche seiner Kollegen ist Wolf von Waldow ein junger Künstler, der sehr
bewußt Bezüge zur Kunstgeschichte einsetzt ... Dabei tauchen solche Vorgaben selten als unmittelbare Zitate auf, aber in Rapport und Opulenz ... ist bei Wolf von Waldow der Geist barocker Komplexität präsent. Das Barock ... war ... einer der letzten Versuche, die Welt als ein großes Ganzes zu erfassen: Die rationale Seite der überbordenden Formenfülle ist die höchst sachliche Enzyklopädie des Diderot. Solche titanischen Erfassungsbemühungen sind durchaus aktuell, denkt man an den genauso heroischen Versuch, alles und jeden im weltweiten ... Internet zu erfassen. In Wolf von Waldow´s größter Arbeit "Home" spielt ein Netz voller Äpfel eine wichtige Rolle - und Äpfel sind ja auch die legendären Früchte der Erkenntnis....

Hypertext 

Das Werk von Wolf von Waldow verweigert sich einer eindeutigen Lesart. Es mag einen persönlichen ... Subtext haben, arbeitet aber vor allem mit der Addition und Überlagerung 
von tradierten Bildzeichen: Zitierte Symbole und Embleme werden zu neuen Allegorien verdichtet und diese changieren aktuell aufgeladen mehrdeutig zwischen historischen Bedeutungssystemen und gegenwärtiger Populärkultur. Es mag an seiner Familiengeschichte liegen, das Wolf von Waldow die Traditionskette nie 
als langweilig und schon gar nicht als abgebrochen empfunden hat. Und es kann ja nicht schaden, wenn ein heutiger Künstler auch weiß, daß die Zeichen der Werbung, gleich ob im Supermarkt, auf der Webseite des Reisebüros oder in den Flyern der Subkultur sehr viele Bezüge zu älteren, schon einmal gefundenen Bildzeichen haben. So ist vor den gebauten Emblemen Wolf von Waldows auch an die Bildwanderung zu erinnern, wie sie der große Kulturwissenschaftler Aby Warburg erforscht hat. Das Zitat alltagskultureller Elemente läßt die leuchtenden Bilder, die Großinstallationen 
oder die lasergeschnittenen Kabinettstücke so freundlich und irgendwie bekannt wirken... Dabei ist ein Zugang auf verschiedenen Ebenen möglich, es gibt nicht die Eindeutigkeit 
einer hermetisch verschlüsselten Welt, die es rebusartig zu entdecken gelte.

Home
Die große Arbeit Home war in Kopenhagen im Zentrum einer ... Kirche aufgebaut. Dieser ... Kontext passt gut für diesen von einem Adler gekrönten, allegorischen Pavillon mit seiner Fülle von entworfenen und gefundenen Bildern zwischen Fruchtbarkeit und Vergänglichkeit. Denn ist er nicht eine komplexe Allegorie auf die tragische Mühsal des Lebens? Während im inneren Bereich eine Wohnzimmerwand dazu dient, die kleine Geschichte des eigenen Lebens in Souvenirs und Fotos einzufangen, so daß man vor diesen Trophäen und Idyllen wie auf einem Thron sitzen kann, mühen sich draußen Soldaten in heroischer Arbeit bis in den Tod. Sie werfen das Netz aus, Lebenssinn und gro§e Weltereignisse einzufangen. Und doch 
werden sie, die Geschichte zeigt es immer wieder, persönlich herabstürzen und zur fassadenschmückenden Herme erstarren, bloß Dekor wechselnder, großer Staatsideen. 
Solch eine Interpretation macht aus dem eher lustigen Prunkstück ein kleines Weltmodell.

Das Bernsteinzimmer, VI

Auch in das fünfteilige, wie ein alter Behördenflur zweifach farblich aufgeteilte Tableau Bernsteinzimmer, Teil 6 sind zahlreiche Parallelgeschichten eingegangen: Dieses Bild entstand nach einem sommerlichen Besuch in Auschwitz, einem Ort, der nach 50 Jahren mit vielem überlagert ist, was die Erfahrung der einstigen Schrecken nicht gerade deutlicher macht. Und so kombinierte Wolf von Waldow auf diesem Antiillusionsbild ein Bibelzitat mit der sauberen Ordnung von Hitlerbriefmarken und dem Logo des Arbeitsamts zur Warnung vor neuen totalitären Horizonten, fügte den Fluchttraum der tropischen Insel hinzu, integrierte darin noch Assoziationen an Ökobewegung und Atomkraft und garnierte das Ganze schließlich mit dem Emblem einer mißverstandenen Revolution von Terroristen. ...So kippt die Fülle totalitärer Wunschhorizonte um in den humanen Appell, sich ihrer tödlichen Vergeblichkeit bewußt zu sein.

Zu viel? Nein, niemand kann davon befreit werden, zwischen den vielfältigen Zusammenhängen der Weltgeschichte ohne den Trost einer absoluten Erklärung 
seine eigene Position zu finden - und dabei zu wissen, wie relativ sie ist.

© Hajo Schiff, 2000