The craft of resistance

von Ken Pratt in WOUND V, Politics of Taste / Dez. 2008

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Die Kunst des Widerstands

Der in Berlin lebende Künstler Wolf von Waldow nimmt uns durch tadellose Manieren für sich ein — ganz wie es sich für jemanden aus einer alten Deutschen Adelsfamilie gehört. Ihn umgibt etwas nicht ganz Zeitgemäßes, dieses sprichwörtliche Bewusstsein, einer anderen Zeit und einem andern Ort anzugehören — der Atem einer Vergangenheit, der ihm ein Gespür für das Zerbrechliche im Gedränge und der Hektik des zeitgenössischen Berlin verleiht.

Aber Blicke und Eindrücke können irreführend sein. Worauf auch immer von Waldows persönliche Aura hindeutet, er ist kein passiver Zuschauer, der in todgeweihter Romantik über seiner Identität schwelgt. Und tatsächlich ist er, all der tadellosen Manieren zum Trotz, auch gar nicht so wohl erzogen. Wer nur ein paar Minuten mit seiner Arbeit verbringt, wird feststellen, dass er sich mit allen möglichen Formen des Widerstands gegen Regeln und Dogmen beschäftigt — sowohl mit bewussten als auch mit zufälligen Formen. Sein Humor ist zwar nicht wirklich schwarz, häufig aber etwas dunkel eingefärbt, wenn er subtil mit Konventionen und akzeptierten Positionen spielt. Man muß sich nur seine frühen Entwürfe für Penis-Schmuck ansehen, um zu erkennen, dass sein Weg nicht immer den Regeln der gegebenen Kunstformen folgen würde.

Andere Formen dieses Widerstands sind sogar auf den ersten Blick offensichtlich. Von Waldow´s Arbeit ist gewissenhaft, bunt, dekorativ und verwendet geschickt handwerkliche Techniken. Er beschäftigt sich genauso gern mit Aufträgen für öffentliche und private Räume als auch mit Arbeiten für Galerie-Zusammenhänge. Dabei unterstreicht er deutlich sein Interesse an der traditionellen Beziehung zwischen Kunst und Handwerk. Und so steht diese Art von Arbeit in krassem Gegensatz zum gepriesenen Kanon der zeitgenössischen deutschen Kunst, mit seiner Betonung des Konzeptualismus und seiner offenkundigen Abneigung traditioneller Medien.

In von Waldow´s Arbeit stoßen wir auf häufige Verweise — um nicht zu sagen visuelle Wortspiele — zur deutschen Volkskultur, zur traditionellen Kunst und zu dekorativen Formen. Seine komplizierten und hoch ästhetischen Kompositionen in den Zeichnungen, Skulpturen oder Tapeten haben häufig eine heraldische Qualität. Von Waldow bestätigt, dass ihn diese Themen schon als Kind fasziniert haben. Sind es doch genau diese Dinge, mit denen kleine Jungen aus hehren aristokratischen Familien von früher Jugend an durch ältere Angehörige infiltriert werden. Denn diese visuellen Darstellungen sollen sie an ihre Abstammung erinnern.

Von Waldow´s Arbeit macht keinen Versuch, seine Liebe und sein Interesse an der reichen Kunst und Designkultur zu verbergen, die seine Herkunft ihm gewährte. Viele der Arbeiten, wie die kleinen Skulpturen oder die Wand-Stücke, die Malerei auf Holz mit anderen dreidimensionalen Materialien verbinden, rufen Erinnerungen an viel ältere dekorative Kunsttraditionen wach. Das verbindet sie mit Stücken, wie sie von den privilegierten und wohlhabenden Schutzherren der Künste in früheren Jahrhunderten in Auftrag gegeben wurden, um ihre ausladenden Eigenheime zu schmücken oder eines wichtigen Ereignisses zu gedenken.

Und dennoch handelt es sich nicht um die reaktionäre Beschäftigung mit Medien oder Inhalten, die manch einer erwarten würde oder sogar darin sehen will. In von Waldow’s Arbeit jammert nicht der letzte halsstarrige Zweig eines alten Preußischen Adelsgeschlechts, sondern sie stellt sich tatsächlich als ein ziemlich subversives Verfahren heraus. Wenn seine Wahl von Materialien und Medien auch traditionell erscheinen mag — Intarsien, eingelegtes, bemaltes Holz und präzise geschnittene Metalle — wäre es doch allzu einfach, sie unabhängig von ihrem jeweiligen Zusammenhang zu betrachten. Denn ebenso häufig verwendet er Digital- und Industrietechniken, um die gewünschte präzise Wirkung zu erreichen.

Doch, obwohl in präzisen, perfekt bearbeiteten Materialien ausgeführt, dürfte der Inhalt von Waldow´s in den konservativen Salons des alten Establishments kaum willkommen sein. Da tanzen schwule Skinhead-Jungs eine fröhliche Polka oder treiben böse Dinge miteinander in fein gesägtem, mit Perlen geschmücktem Stahl. Mythologische Zwerge und andere heraldische Charaktere gehen ihrem Geschäft nach, während sie durch die Ausstattungen eines zeitgenössischen städtischen Lebensstils und seiner allgegenwärtigen sex, dance and drugs-Subkulturen stolpern. Motive der echten Heraldik werden zwar übernommen, bekommen aber auf einmal eine gewisse Doppeldeutigkeit. Inmitten der völkischen Bildvorstellungen oder Formen, die auf die traditionellen, dekorativen Stile von Landschlössern anspielen, dreht sich die Welt in einem Aufruhr aus Farbe, Drogen, Sex und zeitgenössischen Gerätschaften. Und, genau wie die Vanitas, mit ihren eigenen visuellen Metaphern für den Geist des Todes steht, so entwickeln auch Krankheit und Seuche hier ihre eigene Ikonographie, um dann in die übergreifenden Kompositionen aus Digitaldruck, Tapeten oder dreidimensionalen Arbeiten eingebettet zu werden.

Die visuell verführerischen und ansprechenden Qualitäten der Arbeit von Waldow´s sind auf den ersten Blick offensichtlich. Aber es dauert ein wenig länger, bis einem die Subtilität seines eigenwilligen Humors bewußt wird, tritt er doch auf, ohne eine Miene zu verziehen.

Ein gutes Beispiel dafür ist eine Auftragsarbeit für ein großes Luxushotel in Hamburg, wo in seiner Wandmalerei an den Wänden seitlich des Swimmingpools Motive von Tauchern aus rostfreiem Stahl und Sand-Dünen nebeneinander gestellt sind. Wir erkennen auch Elefanten. Nicht gerade sexy, uns, während wir durchs Wasser gleiten, so zu sehen. Die Arbeit, die beinahe etwas vom Feingefühl des Art Déco hat, ist von einem gewissen Unbehagen bestimmt angesichts der Dekadenz, so viel Wasser nur für unsere Freizeit zur Verfügung zu stellen, während der Entwurf seine Anregungen gerade aus Formen jener Weltgegenden bezieht, die darum ringen, überhaupt Wasser zu finden.

Denselben Mechanismus der Parodie, eigentlich ein zynischer Kommentar auf die politische Landschaft außerhalb der Grenzen der Arbeit, finden wir auch im Auftrag für ein privates Esszimmer. Die bemerkenswerte Tapete, auf den ersten Blick ein abstrahiertes dekoratives Motiv, enthält bei näherem Hinsehen die Fahnen der ärmsten Länder in der Erde. Behagliche westliche Esser werden während der Mahlzeit unter dieser visuellen Präsenz zweifellos drückende Probleme wie den Welthunger diskutieren. Die Tapete wird durch ein Wandobjekt aus verschiedenen Materialien ergänzt, das sich auf Volkstraditionen stützt und eine ironische black Mama-Figur mit einschließt, die sich bereits protestierend gegen den privilegierten Tisch der zivilisierten Welt wendet.

In den Arbeiten, die das Rückgrat seiner Bilderfindungen bilden — Arbeiten, die verschiedene Situationen reflektieren, die ihn in Berlin und insbesondere in der schwulen Subkultur umgeben — gibt es eine ähnliche Hybris. Schwule Jungen mit rasierten Köpfen und dem look, den wir besonders mit Plätzen wie dem Berghain verbinden, tanzen und wuseln in den dichten Feldern aus Formen und Farbe herum oder klettern, monochrom, über feine Skulpturen aus präzise geschnittenen Stahlplatten. Sie sind umgeben von Objekten, die für ein Leben aus endlosem Sex und Drogen stehen, vermischt mit mythologischen und heraldischen Figuren oder Formen, die man gewöhnlich eher mit traditionellen Kinderbuchillustrationen verbindet. Und, hier und dort, die subtilen Verweise auf andere Wirklichkeiten, die nicht desto weniger auch ein Teil dieser endlosen Party sind: Biohazard-Symbole oder Bonbons, die sowohl ein Wink Richtung Gonzalez-Torres sein könnten, aber auch auf bewusstseinsverändernde Pillen zur Erholung hinweisen. Doch viel mehr, als die explizite grafische Schilderung von extremen Sexerlebnissen oder Ähnlichem, werden uns visuelle Metaphern in der Tradition viel älterer Kunst angeboten, die auf den Preis für diesen Hedonismus hinweisen, ohne ihn ausdrücklich zu benennen.

Das Berlin, das uns von Waldow anbietet, ist ein dystopisches Disneyland für homosexuelle Männer. Seine Lebensstile sind tief im Gewebe der Stadt verwurzelt. Es ist unmöglich, den Spaß und den Nervenkitzel von den weniger angenehmen Seiten der Wirklichkeit zu trennen. Sie sind Teil dieses Pauschalangebots. Dabei ist es wichtig zu betonen: in diesen Arbeiten geht es nicht wirklich um Ambivalenz. Von Waldow´s Spott und seine unverhohlenen Schläge lassen uns nicht im Zweifel um seine bewusste Erfahrung und das Verstehen der negativen Auswirkungen des homosexuellen Traums, wie er in Berlin ausgelebt wird. Eher geht es, in der Tradition der Vanitas oder vielleicht sogar buddhistischer Philosophen, um die Gleichzeitigkeit — um Ursache und Wirkung.

Von Waldow trennt in seinen Arbeiten die Bejahung dieser typischen Berliner Schwulenidentität und ihrem Anspruch aufs Partymachen nicht vom Preis, den diese Lebensweise haben kann. Doch dieser Preis führt nicht zur Hysterie. Und, sich selbst deutlich in all dies hineinstellend, ist Kritik auch Selbstkritik. Hedonismus, und sexuelle Grenzgänge werden als solche nicht gelobt. Dahinter steht der klare Gedanke, dass man in Anbetracht aller Faktoren, die wir mit der einzigartigen Geschichte dieser Stadt und ihrer Wirtschaft verbinden, nicht sehr viele Wahlmöglichkeiten haben. Die besondere schwule Subkultur Berlins ist tatsächlich beinahe unvermeidlich und unter diesen Umständen das einzige praktikable Mittel einer Entwicklung.

Man mag eine ironische Skepsis in Wolf von Waldow´s Arbeiten finden, vielleicht sogar eine gewisse frustrierte Resignation. Daneben steht aber auch viel positive Ausstrahlung. Er lehnt diese merkwürdige Stadt und ihre Eigenarten nicht ab. Die lange Tradition von Kravallen am 1. Mai fließt ebenso in seine Skulpturen ein wie die tanzenden Skinheads. Und im Rahmen einer gewissen Zurückhaltung, gibt es auch Momente simpler Freude. Allerdings ist er kein Künstler, der enthusiastisch die Regenbogenfahne schwenkt, obwohl er sie, sollte er sie neu entwerfen, sicher sorgfältiger und ästhetisch erfreulicher gestalten würde.

In neueren Arbeiten, die digitale Drucktechniken verwenden, wird die von ihm reaktivierte Ikonographie ausgearbeitet und weiter entwickelt. Allerdings hat von Waldow seine Aufmerksamkeit allmählich zurück auf Begriffe der Malerei gelenkt. In diesen Tapeten-Arbeiten sind die Techniken, die verwendet werden, um Muster zu konstruieren, gleichzeitig auch Teil der Gestaltung und der Form. Aber anstatt wirklich als Tapeten zu dienen, werden die Arbeiten auf weißen Wänden in festgelegten Dimensionen und in einem Maßstab gezeigt, den man normalerweise größeren Bildern zuordnen würde.

Diese Arbeiten zeigen eine neue Komplexität, indem die Farbe zur Konstruktion von Bildebenen genutzt wird. Damit stoßen sie eine Diskussion über den traditionellen Bildaufbau durch Maler (oder sogar Musterentwerfer) an. Durch das Begrenzen der Arbeit auf die Dimension von Bildern, ist es von Waldow möglich gewesen, ein Spektrum von leuchtenden und satten Farben zu entfalten, das einen gänzlich anderen Eindruck hervorruft als normale Tapeten.

Stehen zunächst die überwältigenden, punkigen Farbtöne mit ihrem dichten Schwarz und dem vibrierenden Rot im Vordergrund, entdeckt man bei näherem Hinsehen, dass die Motive tatsächlich viel den Traditionen wissenschaftlicher und technischer Illustrationen verdanken. Statt uns in der Dichte eines Zimmers zu verlieren, das ganz mit Tapeten ausgestattet ist, wird uns so ein viel einfacherer Zugang zum Inhalt der Arbeiten gewährt, aber auch zur Diskussion über die Art und den Status von Malerei allgemein. Das beinhaltet auch Fragen zu den Wertesystemen nach denen wir die Dinge aussuchen, die wir an unsere Wände zu hängen.

Dieses Aufbrechen der gängigen Tapetenpraxis, die Ablehnung ihrer Rolle als reine Wanddekoration, weist in vielfältiger Weise auf frühe Arbeiten zurück, in denen von Waldow begann, Malerei nicht mehr losgelöst aufzufassen, sondern sie im Kontext von Objekten und in Bezug auf ihre wichtigen Traditionen im dekorativen Bereich zu verstehen. Und tatsächlich hat die Präsentation von Tapeten als ein eigenständiges, bildhaftes Objekt viel mit den früheren Installationen gemein, in denen architekturartig gestaltete und handbemalte Oberflächen als eine Art Einrichtung präsentiert wurden. Die freistehenden und wandverbundene Elemente spielten auf typische architektonische Versatzstücke an, wie sie in der Geschichte gerne mit gemalten Motiven geschmückt wurden und thematisierten sie zugleich als solche. Natürlich waren von Waldow´s Versionen nicht einfache Nachbildungen von vorhandenen historischen Vorbildern. Denn bereits damals war die subversive Tendenz, neue Bedeutungen einzufügen, offensichtlich.

Diese Arbeiten rufen allerdings bestimmte Fragen über Wertestrukturen und ihre Abhängigkeit vom allgemeinem Zeitgeschmack und den jeweiligen Grundeinstellungen auf. Als diese Fragen wieder angeschnitten wurden, waren sie wohl ihrer Zeit voraus. Dies hat sich inzwischen jedoch geändert. Man muss sich nur einmal die Arbeiten ansehen, die in den letzten Jahren von vielen kommerziellen Galerien zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten angeboten wurden, um festzustellen, dass diese Neubewertung von Formen der Volkskunst und traditionellen Dekorationsformen so gängig geworden ist, dass es einem schon fast zuviel wird.  Wie vielen von uns graut schon jetzt vor der nächsten Kunstmesse, weil sie befürchten, sich schon wieder mit einer geschickt ausgeführten, volkstümlichen Landschaft befassen zu müssen? Oder womöglich noch schlimmer: mit Hirschen! Die gewaltigen Anstrengungen vieler Künstler, sich berechtigterweise den Dingen wieder anzunähern, die dem Reich des Kitsches zugewiesen wurden, haben sich, bis zu einem gewissen Grad, im Wald der Schilderungen des Alltäglichen oder der Neubewertung von Heimatkunst und deren Nachfolge verloren.

Wolf von Waldow verdient Anerkennung dafür, dass er, zusammen mit einer beträchtlichen Kohorte, welche ebenfalls in den neunziger Jahren anfing, sich mit verwandten Themen zu beschäftigen, die Vorhut einer ganzen Welle von Künstlern bildete. Sie waren an einer Neubewertung der Rolle von manuellem Handwerk und Dekoration in der Kunst interessiert – weit mehr als viele arrivierte Künstler. Außerdem ist, in von Waldow´s Fall, das Thema weit weniger das einer umweltfreundlichen Vision des Alltags, das mittlerweile in diesen Kunstgefilden so verbreitet  ist. Viel mehr untersucht er den Rang von bestimmten Kunstformen und Tropen im Verhältnis zu dominierenden sozialen Werten. Wie seine frühen Arbeiten verständlich machen, geht es dabei besonders um Architektur, die ja häufig als eine Art Sammelbecken für den kulturellen Wert jedweder Zivilisation betrachtet wird. Denn gerade sie steht in besonderer Beziehung zu dekorativen Formen und vielleicht vor allem zur Malerei. Von Waldow´s Arbeiten führen bewusst die Ebenen aus Geschmack, Trends und Dogmen vor, die bei der Beurteilung dessen, was gültige Malerei und wer ein gültiger Maler sei, eine Rolle spielen. Damit betont er, wie abhängig dieser Rang vom jeweiligen Zeitgeist ist und betont die Relativität der dominierenden Diskurse, die sich als Schiedsrichter des Geschmacks und der kulturellen Werte aufspielen.

Obwohl sie sich auf die gemalte Oberfläche konzentrierten, tragen die frühen Arbeiten auch immer eine direkte Beziehung zu Teilen eines Gebäudes in sich, das sie geschmückt haben könnten. Auf ganz ähnliche Weise werfen auch die neueren Wand-Papier-Arbeiten – in ihrer grundsätzlichen Verweigerung, Tapeten zu sein — Fragen über die Bedeutung und die vereinbarten Werte von Dingen auf, die an Wänden hängen. Würde man beispielsweise diesen, auf den Punkt gebrachten Entwürfen, einen anderen Wert zuerkennen, wenn sie nur etwas verändert in Farbe auf Leinwand ausgeführt wären? Man bekommt das Gefühl, dass Wolf von Waldow beides hat: einerseits einen klaren Begriff davon, wann, wie und von wem solche Werte definiert werden, andererseits aber auch eine grundlegende Verweigerungshaltung, dieses Spiel  mitzuspielen und damit einfach seine Ruhe zu haben.