Das Geschmückte Geschlecht – Laubsägearbeiten von Wolf von Waldow

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Interview mit Tim Schleider in Magnus 7/93 anlässlich der Ausstellung Wolf von Waldow – Figuursaagwerk. Galerie ra, Amsterdam, 1993


T.S.: Du bezeichnest diese Arbeiten als Schmuck. In Amsterdam ist gerade eine Ausstellung Deiner Stücke in einer Schmuckgalerie zu sehen. Und dennoch werden sich viele Betrachter spontan fragen, wann und wie man Deine Sachen eigentlich tragen soll. Gibst Du mal ein paar Tips?

W.v.W.: Ach, tragbar sind meine Sachen schon. Sie sind vermutlich nicht besonders praktikabel. Aber darauf kommt es mir auch gar nicht an. Normalerweise werden künstlerische Objekte – zum Beispiel Bilder oder Plastiken – ja in einem möglichst neutralen Umfeld präsentiert, zum Beispiel an einer weißen Wand. Sachen an einem Körper finde ich da viel spannender, denn das ist ja nun alles andere als ein neutrales Umfeld. Schmuck und Träger sollen sich ergänzen. Erst in der Tragesituation entsteht die künstlerische Bedeutung. Insofern haben die Fotos stark vermittelnde und interpretierende Funktion, gehören also in gewisser Weise mit zu dieser Arbeit.

T.S.: Wenn ich Dich recht verstehe, siehst Du Dich eher als Künstler denn als Schmuckdesigner?

W.v.W.: Ja, aber diese Trennung ist ohnehin künstlich. Wenn man etwas macht, ist es ganz unerheblich, ob das frei oder angewandt oder was auch immer ist. Das ist eher ein theoretisches Problem. Mich interessieren Objekte, in denen ich meine Erfahrungen des Alltags verarbeiten kann.

T.S.: Welche Bedeutung hat Schmuck denn im Alltag?

W.v.W.: Schmuck ist ja ein ausgesprochen interessantes kulturhistorisches Phänomen. Man verändert die eigene Erscheinung mittels zusätzlicher Objekte – eigentlich eine ganz absurde Idee. Diese Dinge wirken als Zeichen am Körper, durch die gesellschaftliche Differenzierung sichtbar wird. Der Mensch spielt mit seiner Ausstrahlung. Heute geschieht das vor allem mit Mode. Wenn ich Turnschuhe und Jeans anziehe, dann geb ich mir ein sportliches, jugendliches, lockeres Image. Anders, wenn ich einen Anzug trage. Mit Schmuck kann man ganz ähnliche Sachen machen. Wobei das eine absolute Gratwanderung ist: Einerseits will man das Individuelle Herausstreichen. Andererseits muß man aber bestimmte Konverntionen beachten, sonst grenzt man sich aus.

T.S.: Jemand, der Deinen Schwanz-Schmuck wirklich trägt, würde sich aber doch ziemlich stark ausgrenzen! Ist das nicht ein Widerspruch?

W.v.W.: Das, was ich eben sagte, bezieht sich auf konverntionellen Schmuck. Mit meinem Genital-Schmuck habe ich diese Grenzen natürlich überschritten, weil ich genau darauf aufmerksam machen wollte.

T.S.: Deine Sachen sind ja frappierend gegenständlich. Warum?

W.v.W.: An diesem Realismus stoßen sich viele Leute. Ich habe in meiner persönlichen Entwickling lange nach so etwas wie einem Stil gesucht. Einige Zeit habe ich auch abstrakt gearbeitet. Das wirkte dann ganz individuell, im Grunde war es aber auch schon wieder Konvention. Naja, und dann hatte ich es irgendwann satt und fand es ehrlicher, offen zu zeigen, daß ich fromal immer auf Dinge reagiere, die es schon gibt. Mir geht es ohnehin viel stärker um die Idee meiner Objekte. Ihr tatsächliches Erscheinungsbild ist ja sowieso von allen möglichen Einflüssen abhängig, beliebig. Auf diese Zeitbezogenheit formaler Erscheinung möchte ich hinweisen.

T.S.: Aber ist all das, was wie historische Zitate aussieht, auch als Zitat gemeint?

W.v.W.: Ja, im eben gesagten Sinn sind sie zitathaft gemeint. Aber ich forme sie für meine Zwecke um.

T.S.: Nun mal ganz konkret: Wie bist Du auf Deinen Genital-Schmuck gekommen?

W.v.W.: Anfangs habe ich immer Schmuck für mich gemacht, also Männerschmuck. Das war Teil meiner Identitätsfindung, der Auseinandersetzung mit Männerbildern, die in unserer Gesellschaft gültig sind, mit meiner persönlichen Rolle als Mann, besonders als schwuler Mann. Was gilt als schön? Was gilt als männlich? Wie beurteile ich mich selbst? Wie abhängig bin ich von Konventionen? Ausgehend von diesen Fragen habe ich dann lange  mit konventionellen Männerschmuckformen gespielt: Einstecktücher, Krawatten, Fliegen. Nun hat Schmuck auch immer die Funktion sexueller Signale. Und da war es am Ende ganz logisch, etwas für den nackten Männerkörper zu machen. Erst dachte ich an einen Orden, und der ist dann eben nach unten gerutscht.

T.S.: Gerade haben die großen Werbeunternehmen in Deutschland festgestellt, daß nichts in der Reklame so gut läuft, wie ein nackter Mann...

W.v.W.: Aber sein Schwanz ist nie zu sehen. Das ist doch grotesk – der Schwanz ist in unserem Kulturkreis das am meisten tabuisierte Körperteil, andererseits aber auch das zentrale Identifikationsobjekt der Männer.

T.S.: Welche Rolle spielen die Motive, mit denen Du den Schwanz bekrönst?

W.v.W.: Mich interessiert, wie und wann bestimmte Symbole zu dekorativen Formeln werden, also zur Konverntion. Um das herauszuarbeiten, nehme ich die Symbole aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang heraus und stelle sie in einen neuen Kontext, in dem sie eigentlich tabu sind.

T.S.: Viele Betrachter werden dennoch bei Deinen Sachen gerade die aktuelle Werbeästhetik assoziieren. Interessant ist ja, daß nackte Männer in der Reklame anders als Frauen ihre Stärke und ihre Macht bewahren; ihre Nacktheit diese Attribute geradezu herausstreicht. Betrachtet man dagegen Deinen Schwanz-Schmuck, gerät man eher ins Grinsen.

W.v.W.: Darin zeigt sich genau der Widerspruch, in dem ich stecke. Einerseits erkenne ich die Widersprüchlichkeit und Realitätsferne dieses Männerbildes, andererseits bin ich von ihm fasziniert. Hat man es erstmal verinnerlicht, kommt man gefühlsmäßig nicht mehr davon los. Und genau das ist es, was mich an kulturhistorischen Sachen fasziniert.

T.S.: Auf den ersten Blick sind Deinen Sachen so schön einfach. Auf den zweiten Blick eröffnet sich ein Abgrund. Nimmst Du Dein Publikum eigentlich nicht ernst?

W.v.W.: Doch. Aber ich habe nur wenige pädagogische Ambitionen. Im Idealfall möchte ich den Blick öffnen für bestimmte alltagskulturelle Phänomene.

T.S.: Und Deine nächsten Projekte?

W.v.W.: Ich mache gerade eine Serie von Tafelaufsätzen, also Tischschmuck. Einige davon zeige ich in der Ausstellung in Amsterdam.