Let the world know about Jilin-City

Ein Reisebericht


Die erste Mail kommt Anfang Mai: Herzlichen Glückwunsch. Sie gehören zu den Teilnehmern der zweiten Kunstmesse in Jilin, China. Bitte senden Sie eine Liste der Arbeiten, die Sie ausstellen möchten, an Frau Shu-Shu You und setzen sich mit Ihr in Verbindung. Telefon : 0091... Toll, jetzt versuchen die schon Künstler zu verarschen, indem man sie dazu bringen will irgendwelche 0190er Nummern anzurufen! Was hab ich bitte mit China zu tun? Löschen!

Zwei Wochen später nochmal dasselbe. Wie kommen die bloß auf mich? Und meine Galeristin hat mit Sicherheit nicht vor, auf´ne Messe nach China zu fahren... wieder löschen.

Mitte Juni dann eine Mail vom BBK (Bund bildender Künstler), die mich darüber unterrichtet, dass ich ausgewählt worden bin, Ende August die Bundesrepublik auf einer Ausstellung für Holzskulptur in China zu vertreten. Sämtliche Kosten übernimmt die Volksrepublik... Ich fass´ es nicht! Also doch kein Internet-Müll. Wer hätte je gedacht, dass ich mal nach China komme. Fernreisen kenn´ ich immer nur von meinen gut verdienenden Freunden mit den richtigen Berufen.

Die Zeit ist allerdings knapp. Genaueres über die Ausstellung ist nicht zu erfahren, außer dass ich während der "opening ceremony" meine neuste Arbeit "vollenden" werde. Aha! Die Arbeiten soll ich als "extra luggage" mit auf die Reise nehmen. 10 Holzskulpturen im Koffer. Tolle Idee! In den folgenden Wochen entwickeln sich die Reisevorbereitungen zu einem veritablen Alptraum. Anfang August ist immer noch nicht klar, welche Arbeiten ich nach China schicken werde und vor allem wie sie dorthin kommen sollen. Ein professioneller Kunsttransport übersteigt mit 600 Euro pro Tour das Budjet der Chinesen. Mal erhalte ich eine vage Zusage für den Hintransport, dann ist wieder alles offen... In jedem Fall soll ich mir schon mal das Flugticket kaufen... auch komisch, bei einer Reise, zu der ich eingeladen bin. In meiner Umgebung mehren sich die warnenden Stimmen: bist du sicher, dass du das Geld wirklich wieder bekommst? Bist du sicher, dass die Arbeiten auch wirklich zurückgeschickt werden? Nein! Ich bin nicht sicher. Alles, was ich über China höre, ist , dass Chinesen grundsätzlich Ja sagen, auch wenn sie Nein meinen.

Den ganzen August realisiere ich in Hamburg mehrere Kunst-am-Bau Projekte in einem Hotel. Mein Büro reduziert sich also auf einen Computer bei Freunden und mein Handy, mit dem ich von der Baustelle aus oder auf der Straße versuche in Berlin den Transport, die Zollformalitäten, den Flug, die Übernachtungen zu organisieren und nebenbei noch Kontakt zum Auswärtigen Amt herzustellen – für alle Fälle. Als selbst der Reisetermin plötzlich unklar ist, werfe ich das Handtuch. Soll doch ein Anderer nach China fahren! Ich jedenfalls nicht!

Schließlich schaltet sich meine Mutter in die Organisation ein. In vier Tagen produziert sie so eine Telefonrechnung von 180 Euro, aber eine Woche vor Abflug ist tatsächlich alles geklärt. Fast alles. Ich muß nur noch eine klitzekleine Bescheinigung beibringen (mit amtlichem Stempel versteht sich), aus der hervorgeht, dass die Holzkisten, in die ich meine Arbeiten mittlerweile verpackt habe, frei von Schädlingen und nicht mit Pflanzenschutzmitteln behandelt sind... Ob die Transportkosten übernommen werden ist immer noch unklar. Also bezahlen auch das ersteinmal meine Eltern.

Am 31. August komme ich dann tatsächlich in Peking an – und bin verblüfft über die perfekte Organisation dort. Da ich unerwartet pünktlich bin, wird mein Anschlussflug nach Jilin-City einfach vorgebucht. Diese Erfahrung werde ich die ganze Reise über machen. Alles wird erst im letzten Moment entschieden. Und es klappt – dank der guten "Beziehungen", die man in China natürlich haben muß. Die Vorstellung, dass bestimmte Dinge einfach nicht möglich sind, weil es zu spät ist, weil bestimmte Formalitäten eingehalten werden müssen oder weil man in der Woche nur viereinhalb Tage jemanden erreicht ist für Chinesen völlig fremd. Und um es vorweg zu nehmen: auch der Transport der Arbeiten wird am Ende von der chinesischen Seite übernommen – ganz informell natürlich; man lernt zu vertrauen.

Mein Ziel, Jilin, liegt ganz im Norden Chinas,in der gleichnamigen Provinz, etwa auf der Höhe von Wladiwostok. Die Stadt hat ca. 3 Millionen Einwohner, ist also eher als Kleinstadt zu bezeichnen...

Als mich das Empfangskomitee schließlich in meinem Hotel auslädt, beginne ich zu ahnen wer ich hier bin und was ich hier soll. Als Verteter der Bundesrepublik Deutschland hat man mich selbstverständlich im besten Hotel der Stadt untergebracht. Die marmorne Eingangshalle, die blattvergoldete Decke, die Suite – all der demonstrative Luxus macht mich zunächst etwas unsicher, habe ich doch nicht einmal einen Anzug eingepackt – na ja, so als Künstler...

Noch am selben Abend fahren wir in die Ausstellungshalle. Auf 10.000 Quadratmetern sind 7000 Arbeiten aus China untergebracht – 7000 ähnliche Arbeiten. Das ist die Messe, diese Arbeiten stehen zum Verkauf. In einer weiteren Halle dann Kunst aus dem Rest der Welt und aus unterschiedlichen Zeiten: alte Schnitzereien aus Benin und Niger, Südamerikanische Masken, Russische Lackschalen... in diesem Sammelsurium wirken meine bunt bemalten Arbeiten einerseits wie Ufos aus einer anderen Welt, andererseits können sie ihren Kunstcharakter nicht recht entfalten, da auch ich mit vielen handwerklichen Anspielungen arbeite. Weitere persönlich eingeladene Künstler, kommen aus Kroatien, Russland, Peru und Equador, wobei die letzten beiden allerdings in China leben.

Am nächsten Morgen erwarten mich bereits 100 Chinesische Künstler auf einer Tribüne stehend vor der Halle, im Vordergrund große Blumenarrangements und in der Mitte ein leerer Sessel. Fototermin. Ja, der Sessel ist tatsächlich für den berühmten Künstler aus Deutschland gedacht. Als ich mich setze, erhebt sich hinter mir ein gewaltiger Applaus. Was bedeutet das jetzt? Meinen die etwa mich? Später lerne ich, dass ich hätte aufstehen und mich verneigen sollen... Applaus ist in China eine übliche Form der Begrü§ung.
Man versichert mir, dass alle Künstler make friend mit mir machen wollen. Das ist schön. Leider spricht keiner Englisch. Daher beschränkt sich die Freundschaft darauf, gemeinsam mit wechselnden Freunden in wechselnde Kameras zu lächeln.

Am Abend dann, treffen auch die anderen Künstler und vor allem die Botschaftsdelegationen aus Peking ein. Als Staatsgäste fahren wir in langer Kolonne mit schwarzen Limousinen durch die Stadt, kleine Wimpel am Wagen, vorne und hinten Blaulicht... der übrige Verkehr steht natürlich still. Mir wird klar: diese Ausstellung ist das kulturelle Highlight des Jahres in Jilin. Und: eigentlich geht es um Wirtschaftskontakte. Ich finde es durchaus sympathisch, die Kultur als Aufhänger zu nehmen... leider wird die Kunst dabei zur Nebensache und ein Austausch mit Chinesischen Künstlern findet weder statt, noch ist er überhaupt vorgesehen. Statt dessen sitzen wir in stundenlangen "Konferenzen", in denen wir über die Modernität der Region, über neue Halbleiter-Industrieen und die neuesten Wachstumszahlen informiert werden. Dann geht es schon wieder zu einem weiteren Bankett mit der Bürgermeisterin und weiteren Reden. Zwischendrin wird noch schnell eine Sightseeing-Tour mit den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt eingeschoben: der größte Holzpavillon Chinas inmitten eines wunderschönen Parkes (den man allerdings aus Zeitmangel nicht genauer ansehen kann), das "Milleniumbuilding" – der neueste Wolkenkratzer-, der Jilin-Meteorit... und immerzu steht hinter Einem schon wieder Jemand und klatscht in die Hände: "Hurry up...".

Das alles hat ja was, wenn man es von der komischen Seite sieht. Aber eigentlich will ich doch endlich was von der Stadt und vor allem vom Leben sehen und zwar nicht immer nur durch dunkelgetönte Autofenster! Mich macht das latent aggressiv.
Es ist noch nicht einmal genug Zeit, sich die Ausstellung genauer anzusehen. Auf der Messe werden im wesentlichen Arbeiten aus Wurzelstöcken und Baumstämmen gezeigt, die lange Zeit im Wasser lagen und durch Wellen und Sand ausgewaschen und abgeschliffen sind. Chinesen haben einen großen Sinn für bizarre Formen der Natur, die dann gegenständlich umgedeutet werden. In diesem Sinn wird aus einem gebogenen Ast der Körper eines Drachen an den man noch Kopf, Flügel und Krallen aus Holz ansetzt. Oder die knolligen Wurzeln einer Azalee werden als Pflaumenblüten mit einem knorrigen Baumstamm kombiniert. Diese Arbeitsweise hat in China eine jahrhunderte alte Tradition und wird bis heute weitergeführt.

Und genau in dieser Fortführung des Überkommenen liegt für den Westler das Problem. Nicht nur, dass man mit 7000 sehr ähnlichen Arbeiten konfrontiert ist – sie werden, zumindest zum Teil, in Manufakturen hergestellt. Auch wenn es dem Künstler überlassen ist, was er in einem Baumstamm sieht, die Individualität der Künstlerpersönlichkeit, die ja für das westliche Kunstverständinis so entscheidend ist, spielt dabei kaum eine Rolle. Bezeichnenderweise werde ich mehrmals gefragt, ob ich meine Arbeiten denn auch selbst entworfen hätte. Traditionell gilt Skulptur in China eher als Handwerk. Die westliche Idee von Kunst findet noch am ehesten in der Kalligraphie eine Parallele.

Was die chinesische Seite von meinen Arbeiten hält, bekomme ich nicht heraus. Ob der Unterschied im Arbeitsansatz überhaupt bemerkt wird? Zumindest für die Veranstalter scheint es wichtiger zu sein, dass dort Arbeiten aus dem Ausland stehen und damit für Internationalität sorgen. Die unendlichen Interviews mit diversen Radio und Fernsehstationen drehen sich um die Frage, was ich von den chinesischen Werken halte ("do you think they are a gift of nature?"), wie ich ihren Stellenwert in der Kunst der Welt einschätze und wieviele Holzbildhauer es in Deutschland gibt... Ich antworte, dass ich den Austausch und die Anregung der Künstler untereinander wichtig finde und darin den Sinn dieser Veranstaltung sehe. So richtig zufrieden scheinen meine Interviewpartner damit nicht zu sein – vielleicht verstehen sie mich auch einfach nicht gut. Wichtig ist ihnen aber, dass ich am Ende jeweils in die Kamera winke und das chinesische Volk grüße.

Da von den Veranstaltern ein näherer Kontakt oder Austausch mit den Chinesischen Künstlern – vielleicht sogar ein Atelierbesuch – nicht vorgesehen ist, versuche ich während der Eröffnung auf eigene Faust mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Das ist nicht schwer. Chinesen sind generell sehr interessiert und aufgeschlossen – ehrlich gesagt: sie reissen sich förmlich um einen... wenn man dann Glück hat, findet sich sogar jemand, der zumindest rudimentär englisch spricht und übersetzen kann. Über den Austausch von Grundinformationen, wie Herkunftsland und wie es einem gefällt geht das leider nicht hinaus. So lächelt man sich höflich an und würde doch so gerne mehr erfahren. Als ich dann tatsächlich mit der Leiterin einer Manufaktur (?) ins Gespräch komme, taucht plötzlich ein völlig aufgeregter Chauffeur auf und vermittelt mir, dass man mich schon die ganze Zeit suche und ich doch dringend zum Bankett zurück ins Hotel gebracht werden müsse. So ist das eben als Staatsgast.

Trotz bester Absichten kommt es so zu Missverständnissen. Natürlich können sich Chinesen nicht vorstellen, dass ich selbst die Papierkörbe in ihrer Stadt sehenswert finde – viel sehenswerter, als den neuesten Wolkenkratzer. Sie verstehen nicht, dass ihr Kunstbegriff sich so gänzlich von meinem unterscheidet und dass ich gerne mehr Austausch darüber hätte... selbst Informationen über die Geschichte und genauere Herstellung der water washed root sculpture bekomme ich nicht. Das ist sicher keine Absicht. Das ist eine andere Denkweise: warum sollte ich etwas über den Herstellungsprozess wissen wollen, wo ich doch die fertigen Arbeiten sehen kann?

Und so bleibt diese Einladung einerseits geprägt von der Diskrepanz zwischen der politisch-wirtschaftlichen Mission, in die ich hier unversehens geraten bin, und der großen Chance, die andererseits in einer so hohen Bewertung von Kulturaustausch besteht. Für die chinesische Seite scheint der Erfolg dieser Veranstaltung an die Erfüllung bestimmter formaler Programmpunkte geknüpft zu sein, die sich insgesamt aber eher an die Vertreter der Botschaften wenden.

Und das alles ist erst ein Anfang. Im nächsten Jahr planen die Veranstalter 9999 Arbeiten zu zeigen – in China eine Glückszahl! Auf meinen Vorschlag, vielleicht einmal etwas weniger, dafür aber konzentrierter zu zeigen, reagiert der Vertreter der Kulturabteilung mit höflichem Unverständnis. Schließlich lautet der emphatische Schlussappell aller gehaltenen Reden: "Let the world know about Jilin-City". Und mehr ist schließlich mehr in der Welt!

© Wolf v.Waldow, Oktober 2003