Der Ast auf dem wir sitzen
Wettbewerb Kunst im öffentlichen Raum, Verwaltungszentrale Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e. V., Hermannstraße 186, 12049 Berlin; 2023
Drei der Figuren wurden 2024/25 für einen privaten Garten bei Bad Mergentheim realisiert.
Material: Edelstahlblech, lasergeschnitten; Oberfläche geschliffen, 6 mm; Rohre: Edelstahl, 60 mm Durchmesser
Maße: Figuren: zwischen 100 - 147 cm breit (je nach Motiv); Objekte insgesamt zwischen 360 - 400 cm hoch
Beschreibung
Die Idee Gärten als Materialisierungen einer idealen Sphäre, z. B. des Paradieses, der Götterwelt oder sogar als Modell des gesamten Kosmos anzulegen, reicht weit in die Kulturgeschichte zurück. Sie lässt sich bereits im alten Ägypten oder in Mesopotamien nachweisen. Über die islamische Gartentradition zieht sie sich bis in die Europäischen Anlagen der Renaissance und des Barock. Selbst die Tradition des „natürlichen“ Landschaftsparks ist von dieser Idealisierung geprägt. Neben bestimmten Pflanzenarten wird dieser Anspruch auch durch die kalkulierte Anordnung von Artefakten, wie Architekturen und Skulpturen, unterstrichen, die miteinander in Beziehung stehen. Das Erkennen dieser Bezüge bzw. die Diskussion der Besucher darüber war intendierter Bestandteil solcher Planungen (Beisp. Bomarzo od. Weikersheim).
In diesem Sinne schlage ich einen Kreis von sieben Figuren aus lasergeschnittenem Edelstahl auf Rohrpfosten vor, die wie Straßenschilder, um den Baum im Garten herum aufgestellt sind. Dieser bildet den Bezugspunkt auf dem Grundstück und wird so gleichzeitig metaphorisch in das Projekt mit einbezogen. Eine Figur allerdings, soll aus dem Kreis in den Vorhof ausscheren und ist so bereits von der Straße aus sichtbar (Motiv UNKRAUT). Die Figuren sind mit der Schnittkante zum Baum hin ausgerichtet, wie die Speichen eines Rades. Sie sind also je nach Perspektive nicht alle auf einmal erkennbar, sondern erschließen sich erst nach und nach, wenn man sich um den Baum herumbewegt. Die Pfosten sollen alle leicht gekippt stehen, so dass man den Impuls hat, sie gerade rücken zu wollen.
Motive
Die Motive sind wie Vogelhäuschen gestaltet, die typische Formen von Schrebergarten- oder Laubenarchitektur aufnehmen. Auf der Stange dieser „Vogelhäuschen“ sitzen Zeitgenossen, die verschiedenen allegorisch-symbolischen Beschäftigungen nachgehen. Die Bezeichnungen in den Entwürfen sind nicht als Titel zu verstehen, sondern eher als Themen, die die Gestaltung der Figur angeregt haben. Sie erörtern verschiedene Aspekte unseres Verhältnisses zur Umwelt und können im Rahmen des „grünen Klassenzimmers“ als Anknüpfungspunkte für Diskussionen dienen.
So bildet die Engelsfigur im Motiv ERNTE ein metaphysisches Gegenbild zu dem Jungen, der dabei ist eine „Frucht“ nach der anderen auf seinen Pfeil zu spießen.
Das Motiv UNKRAUT ist von der Gegenüberstellung einer realistischen mit einer stilisierten Pflanzendarstellung bestimmt. Optisch werden Wurzelwerk, Platine und Adern hier miteinander verbunden.
Beim KLIMAWANDEL hält ein Domteur einen flammenden Ring in die Höhe, durch den drei Wildgänse fliegen müssen und verweist damit auf die Verschränkung biologischer Netzwerke.
SAUERSTOFF, die Grundlage allen höheren Lebens auf der Erde, ist in seiner verfügbaren Form ein Nebenprodukt der Photosynthese. Entsprechend präsentiert das Mädchen im Motiv zwar die chemische Formel O2 in einem Ehrenkranz, holt aber gleichzeitig mit einer Axt aus...
Eine der Grundlagen für das enorme Wachstum der Weltbevölkerung im 20. Jahrhundert war die Entwicklung künstlichen AMMONIAKS (NH3) als Ausgangsstoff für die Düngemittelherstellung. Dieses Motiv steht generell für das Thema Bioengineering. Die Industrialisierung der Landwirtschaft wird heute durch transgenes Saatgut fortgeführt. Bei der Suche nach Wasser assistiert ein bewaffneter (Garten-) Zwerg mit Wünschelrute, der als Erdgeist gleichzeitig auf ein nicht- ökonomisches, animistisches Verständnis der Erde verweist.
SCHLECHTE ZEITEN. Kleintierhaltung spielte in der Vergangenheit eine Rolle im Kleingarten, so in der sprichwörtlichen „schlechten Zeit“ nach dem letzten Weltkrieg. Kaninchen und Hühner waren einerseits putzige Empathie Träger für Kinder, dienten gleichzeitig, aber auch sichtbar als Fleischlieferanten. Dieser Widerspruch war für Kinder sicher verstörend, machte die Herkunft und den Wert dieses Lebensmittels aber auch erfahrbar.
SCHADORGANISMUS: Der junge Mann hält ein Schild mit der Abbildung einer Schnecke im Arm, deren Haus als Glühbirne dargestellt ist. Die Schnecke ist sicher der Erzfeind des Kleingärtners schlechthin. Dabei hat sie, wie alle im und am Boden lebenden Organismen, eine große ökologische Bedeutung für die Erneuerung der Humusschicht. Also: Wem gehört die Welt?
Wolf von Waldow, 2023