Halber Mond und schwarzer Bär
Eingangstüren für ein Wohn- und Geschäftshaus in Erfurt, 2016-18
Auftraggeber: Domplatz EF GmbH & Co.KG, Erfurt. Architekten: Osterwold-Schmidt Architekten, Weimar, Ausführung: Polarterm Flachglas GmbH, Großenhain, Fotos: Paul-Philipp Braun
Keramischer Digitaldruck auf Glas, 2018
Über dieses Projekt ist eine ausführliche Broschüre erhältlich: Thomas Renner: Halber Mond und schwarzer Bär – oder wie man Stadtgeschichte zum Leben erweckt. Hrsg. Domplatz EF GmbH & Co.KG
Die Motive der 9 Eingangstüren sind von der Geschichte des Bauplatzes unmittelbar neben dem Erfurter Dom inspiriert. Das Viertel war seit dem Mittelalter dicht besiedelt. Die Bebauung wurde jedoch im Dezember 1813 während der Rückeroberung der Stadt von den napoleonischen Truppen abgerissen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts errichtete das Preussische Militär dort Gebäude zur Unterbringung von Artilleriewagen. Sie wurden teilweise bis 2014 für verschiedene Zwecke genutzt.
1. Eingang "Gasthof zum halben Mond" bezieht sich auf einen Gasthof, der sich seit dem Ende des 16. Jahrhunderts an der Ecke Domstraße/An den Graden befand.
2. Eingang "Sybels Haus" erinnert an die vergessenen Menschen und ihre Erinnerungen, die hier über Generationen lebten. Karl Anton Sybel wird in einem Tagebucheintrag von 1813 erwähnt, der die Zertörung des Viertels beschreibt. Auf der Klingelleiste finden sich weitere Namen letzter Besitzer vor dem Abbruch der Häuser.
3. Eingang bezieht sich auf die "Artilleriewagenhäuser", die 1845 und 1863 von der preußischen Armee gebaut wurden, von den Erfurtern als "Kanonenschuppen" bezeichnet. Ich kombiniere diese Darstellung mit einer Karte der archäologischen Ausgrabungen, die 2016 vor der Errichtung des neuen Apartmenthauses durchgeführt wurden. Da der Boden im 19. Jahrhundert gründlich eingeebnet wurde, wurden nur Fragmente von mittelalterlichen Kellern gefunden.
4. Eingang "Haus zur güldenen Pforte". In mittelalterlichen Städten hatten alle Häuser Namen, keine Nummern. In Erfurt ist diese Tradition noch lebendig. Also suchte ich nach überlieferten Namen der historischen Häuser. Eines hieß "Zur güldenen Pforte". Da ich keine Farbe verwenden wollte, suchte ich nach einer Möglichkeit, "Gold" darzustellen und verwendete darum alchemistische Zeiche und Symbole. Um Gold herzustellen, braucht man Schwefel, Quecksilber, die 4 Elemente, Salz - und natürlich den Stein der Weisen.
5. Eingang "Bergstrom". Durch die Stadt Erfurt fließen mehrere Arme der Gera. Der sog. "Bergstrom", der heute hinter dem Grundstück fließt, änderte im Laufe der Jahrhundertte mehrfach seinen Verlauf über das Grundstück. Das Wasser wurde zum Antreiben von Mühlwerken genutzt. Das Rad und das fließende Wasser erinnerten mich an das Rad der Fortuna.
6. Eingang "Erfurter Obst- und Gemüsemarkt". Anlässlich des 35. Jahrestages der DDR wurde in einem der Artilleriehäuser ein Gemüse- und Obstmarkt eingerichtet. Das ist bemerkenswert, denn spezielle Obstmärkte gab es in der DDR selten. Es ist sicher auch als ein politischer Versuch zu verstehen, die mit der allgemeinen Versorgungslage unzufriedenen Menschen zu besänftigen. Für mich als "Wessi" war es nicht leicht, ein Motiv zur DDR-Geschichte zu entwickeln.
7. Eingang "Pilgerzeichen". Hier stehen die Artefakte der archäologischen Ausgrabungen im Mittelpunkt. Besonders bemerkenswert sind drei Pilgerzeichen aus Maastricht und Aachen aus der Zeit um 1300. Sie wurden zum Beispiel für Kleidung verwendet und fanden sich in einer Müllentsorgung (Latrine) wieder. An anderer Stelle fanden sich Relikte einer Knochenschnitzerwerkstatt mit vielen zerbrochenen Kämmen.
8. Eingang: "Halbe Mondsgasse". Die heutige Straße "An den Graden" hieß früher "Halbe Mondsgasse", nach dem Namen des Gasthauses an der Ecke zur Domstraße. Während meiner Recherche stieß ich auf weitere reizvolle Hausnamen, wie "Zum schwarzen Bären", "Zum roten Stern und zur grünen Tanne" oder "Zum großen und zum kleinen Störchen ". Die Form der Häuser bezieht sich auf die schematische Darstellung der Häuser in alten Stadtansichten.
9. Eingang "Luftschösser". Nach so vielen Motiven, die von der Geschichte des Ortes handeln, entschied ich mich, ein Motiv über die Zukunft oder wie sie auch hätte aussehen können, zu entwickeln. Das jetzt errichtete Mehrfamilienhaus wurde in einem Wettbewerb aus 20 anderen Projekten ausgewählt. Ich zeige darum einige der abgelehnten Projekte.
Wolf von Waldow, 2018